Gibt es nicht, kritisieren Naturschützer. Vor den Toren Augsburgs soll der Fluss wieder wild fließen dürfen. Nun hat das Wasserwirtschaftsamt die bayernweit einzigartigen Sanierungspläne vorgestellt – aber der Energiekonzern Uniper hat dort anderes vor.
Der Lech soll wieder Fluss sein dürfen, zumindest auf einer zehn Kilometer langen Strecke vor den Toren Augsburgs. Für diesen Abschnitt des Lechs läuft seit zehn Jahren das Renaturierungsprojekt "licca liber", nun hat das Wasserwirtschaftsamt Donauwörth die Pläne vorgestellt, die es im Herbst zur Genehmigung einreichen will: Der Lech darf sich aufweiten von 70 auf 130 Meter, es entstehen Nebengewässer und wertvolle Flächen für Auwälder. Laut Planern ist das Projekt in Mitteleuropa beispiellos. Die eigentlich große Freude unter Naturschützern darüber ist dennoch getrübt: Das Energieunternehmen Uniper hat am Mittwochabend angekündigt, den Bau eines neuen Wasserkraftwerks zu prüfen – mitten hinein ins Naturschutzgebiet und "licca liber". "Der geschundene Fluss" nennen Einheimische den Lech, weil er so dicht verbaut ist wie kein anderer Fluss in Bayern. Auch zwischen der Staustufe Merching und dem Hochablass in Augsburg ist er in ein enges Korsett gezwängt und dennoch vergleichsweise natürlich geblieben. Hier setzt licca liber an: Sollte die Genehmigung in ein paar Jahren erfolgen, erhält der einstige Wildfluss einen Teil seiner für ihn eigentlich typischen Dynamik wieder, bei Hochwasser überschwemmt er die Ufer rechts und links, es entsteht eine für Flora und Fauna wertvolle sogenannte Sekundäraue. Ziel ist ein "guter ökologischer Zustand", wie es gemäß EG-Wasserrahmenrichtlinie heißt. 20 Jahre soll der Prozess dauern, in dem sich der Lech seine neuen Grenzen weitgehend selbst erschließen darf. Allerdings nur dort, wo es für Menschen und Anrainerkommunen wie Mering oder Kissing ungefährlich ist.
Die Planer betonten, dass sich die Sohle, also der Grund des Lechs, durch die Renaturierung stabilisieren werde, weil sich der Fluss nicht mehr gefährlich eintiefen werde wie bislang. Dies wiederum stabilisiere den Grundwasserstand und stelle somit auch die Trinkwasserversorgung für die Zukunft sicher. Bei Hochwasser würden sich die Grundwasserstände gebietsweise sogar um bis zu 50 Zentimeter verringern: Dass Wasser in den Keller drückt, darüber werden sich Anwohner in Zukunft also weniger Sorgen machen müssen. Hochwasserschutzanlagen werden ins Hinterland verlegt, wo es notwendig ist, werden Spundwände in den Boden gerammt und aufgeschüttet, um den Fluss einzugrenzen. Im Zuge der Arbeiten muss Wald gerodet und dann Erde abgetragen werden. Erst wenn der Boden um bis zu drei Meter abgesenkt ist, kann er künftig regelmäßig überströmt werden. Eine "brutal" anmutende Maßnahme, wie es die Planer ausdrücken, aber Voraussetzung für die Entwicklung des angestrebten Auwalds. Die Wasserexperten werden auch vier von sechs sogenannten Sohlrampen entfernen. Diese Bauwerke verlaufen quer durch den Fluss und lassen das Wasser steil abstürzen, so hat der Lech bis zur jeweils nächsten Rampe weniger Gefälle. Das verhindert, dass sich das Wasser noch stärker in den Grund eingräbt und Grundwasser sowie auch die Standfestigkeit von Bauwerken wie etwa Brücken gefährdet. Künftig werden nur noch zwei abgeflachte und somit für Kies und Fische durchgängige Rampen notwendig sein.
Genau hier setzt nun Uniper an. Das Energieunternehmen hat seit vielen Jahren die Konzession, bei Flusskilometer 50,4 ein Kraftwerk zu bauen, sah aber nach Worten des Leiters der Kraftwerksgruppe Lech, Carsten Gollum, bislang mit Rücksicht auf die Planungen für "licca liber" davon ab, dort tätig zu werden. Da nun klar sei, dass die Sohlrampe an dieser Stelle im Wasser verbleibt, könne dort ein Wasserkraftwerk "im Einklang mit flussökologischen Zielen" andocken. Uniper hat bereits Machbarkeitsstudien angestoßen und ein ökologisches Gutachten in Auftrag gegeben. Ende des Jahres will das Unternehmen entscheiden, ob es eine Genehmigung beantragt. Uniper schwebt ein Kraftwerk in Unterflur-Bauweise vor, das nicht zu sehen und für Fische passierbar sei. 17,5 Millionen Kilowatt, also Strom für etwa 5000 Haushalte, soll es erzeugen – und so 8000 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr zu vermeiden helfen.
Eberhard Pfeuffer von der Bürgervereinigung Lechallianz, die sich für eine Renaturierung einsetzt, nennt das geplante Bauwerk ein "Kraftwerkchen" mit geringer Leistung. Solch ein Bau lohne sich gar nicht. "Da stell ich ein Windrad hin und habe in etwa die gleiche Stromerzeugung. Können wir in Bayern nicht einmal in einem hochrangigen Naturschutzgebiet Natur Natur sein lassen?" Auch der Bund Naturschutz kritisiert die Pläne. Es könne keine Rede von einem "Einklang mit flussökologischen Zielen" sein. In einem der letzten natürlichen Abschnitte des Lechs habe Wasserkraft nichts verloren. Ein für Fische unbedenkliches Kraftwerk sei beim gegenwärtigen Stand der Technik eine Illusion, beim Versuch, solch ein Bauwerk zu passieren, würden viele Tiere sterben. Dabei sei genau das eines der Hauptziele von "licca liber": Fischen wie dem Huchen, der früher massenhaft im Lech schwamm, wieder Raum zum Leben und zum Wandern zu geben.
Quelle: Süddeutsche vom 22. Juli 2023